Sie haben es getan, sie haben die Todsünde in Sachen Igelfutter begangen. Denn sie wussten nicht, was sie tun. Arglos hatten sie ihn letzten Montag aufgenommen ins warme Heim, wohlig rochen die getönten Holzbalken, knisternd flackerte das Feuer im Kamin. Eine Kiste, ausgelegt mit frischem Laub hatten sie ihm aufgestellt, mit der großen Aufschrift „IKEA“. Wohl ein Igelkistenhersteller.
Der ganz normale Wahnsinn nur für Igelfutter
Es war windig gewesen an diesem Montag, kalte Luft zog in der Dämmerung über den Straßenrand. Viele Verwandte hatten ihm schon von den unzähligen Todesfällen auf der Asphalthölle berichtet, nur wahrhaben wollte er die Warnungen nicht. Auf der anderen Straßenseite, so hatte ein Rabe gezwitschert, gäbe es ein unerschöpfliches Reservoir an Igelfutter, die größten Schnecken und Würmer und vor allem die besten und schönsten Laubhaufen zu finden. Ein Igelparadies, dessen Teil man nur werden konnte, hatte man den Todestreifen sicher überquert.
Eine gefühlte Ewigkeit hatte er schon dort gehockt, vorbeisausende Lichter beobachtet und auf den richtigen Moment gewartet. Dann schien dieser endlich gekommen, lange Zeit war Ruhe gewesen auf der Straße. Also alle Stacheln geschultert und ab dafür. Doch wie es das Schicksal so wollte, raste genau in diesem Moment die Familie im nagelneuen Van, gerade auf der Heimfahrt vom töchterlichen Querflötenkonzert in der Gemeindehalle des nächsten Dorfes, den Highway hinunter. Schwärze, Überschläge und stechenden Schmerz hat er davon noch in Erinnerung, aufgewacht ist er erst wieder in seinem „IKEA“- Übergangsheim.
Schmerzhafte Futter-Erfahrung
Soweit so glücklich, doch dann passierte es. Milch. Ja, Milch stellte die Menschenmutter ihm vor die Nase, sich dessen nicht bewusst, das Igel nicht gleich Menschen oder gar Katzen sind. Einem unwiderstehlichen Drang nachgebend, leckte er die ganze Schüssel auf, wohlwissend, dass man dies als Igel nicht tut, aber auch im Dunkeln darüber, was danach an Schmerzen auf ihn zukommen würde. Grauenhaftes Bauchweh, fürchterlicher Durchfall und ein Brennen der Gedärme, wie es richtig gewähltes Igelfutter wohl niemals zu bewirken fähig gewesen wäre.
Hätten sie ihm doch nur ausgewogene Nahrung gegeben. Denn genau wie der ernährungsbewusste Zweibeiner stehen Igel auf so etwas. Eiweiße, das heißt Hackfleisch, Rührei und so weiter, das wäre es gewesen, was ihm zugute gekommen wäre. Nein, hier nicht, hier herrschte wohl immer noch der weitestgehend unlöschbare Irrglaube, Milch sei das Beste in solchen Igelfällen.
Wasser hätte es getan, Weizenkleie oder kommerzielles Igelfutter zum Beimischen, alles nur nicht Milch.
Ein Ende in der Igelfutter-Tragödie?
Die Geschichte schreit nach einem Happy-End, genau wie alle anderen traurigen Geschichten, doch dieses wird es hier nicht geben, genau wie in einem guten Anti-Mainstream-Film. Der einzige Unterschied ist der des fehlendes Drehbuches, der Titel allerdings steht für ihn schon fest: „Igelfutter kann nicht Jedermann“.
Ein Licht flackert, riesige Hände kraulen ihm den Bauch, er ist selbst zum einrollen zu kraftlos. Etwas hebt ihn in die Höhe, ein bebrillter Mann im weißen Kittel mit zotteligem Haupthaar, der sich Minuten zuvor als „der Tierarzt“ vorstellte, befühlt gekonnt und doch für den Laien wahllos gewählt erscheinende Stellen seines Körpers und resümiert nach Ewigkeiten dauernder Inspektion: „Für den kleinen Freund kann´sch nix mehr tun.“
Erschütterung, selbst in seinem Dämmerungszustand kann er die Bedeutung dieser Worte noch zuordnen, zweifelsohne geht es um ihn, der hier unwissentlich vergiftet wurde. Der sein Todesurteil schlemmend unterschrieb. In Zukunft wird man von ihm sprechen. Vom Igel, dessen Tod leider nur um eine kurze Zeit hinausgezögert wurde.